Chinesische Oper: Geistreiches für Geister

❂ Skurrile Begegnungen in Chinatown ❂ Manchmal lohnt es sich, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen! Wer durch das Chinesenviertel von Bangkok bummelt, mag gerade hier Glück haben und während den traditionellen Festivals auf ein Wandertheater treffen. Wenn Sie zu den Kunstfreunden zählen, die sich für die jahrhundertealte chinesische Kultur interessieren, dann sollten Sie inne halten, denn vielleicht erleben Sie eine “Geisteroper”…

Ich präsentiere: die Fotoserie des renommierten Fotografen Ben Owen-Browne, der die Faszination einer chinesischen Oper während eines chinesischen Neujahrfestes in Bangkok mit seiner Kamera einfing. Das “Chinese New Year” (oder auch Spring Festival) findet jedes Jahr Ende Januar oder Anfang Februar statt. Dann ändert sich auch das chinesische Horoskop.

Ich empfehle genau während dieser Zeit – also speziell Anfang des Jahres – in Bangkoks Chinatown vorbei zu schauen und sich sogar auch für einige Tage dort einzuquartieren. Mein Top-Tip: das traumschöne Shanghai Mansion! Denn nur vor Ort kann man die wundersamsten Dinge erleben. Alles ist während dieser Zeit seltsam, spleenig und skurril – zumindest für uns Ausländer. Doch das Schauspiel, was sich einem bietet, ist gleichermaßen faszinierend.

So erging es auch meinem Bekannten Ben! Er bestätigte mir:
“Wer das Lunar New Year einmal erlebt hat, wird die ungewöhlich fremdartigen Eindrücke dieses Festes sicherlich niemals mehr vergessen. Die bedeutsame Begegnung mit den Mythen, Mysterien und der Magie des alten Chinas bleibt bei so manchem Besucher tief in der Erinnerung verankert”.

Genau während dieser Zeit entstand eine Abfolge von Schnappschüssen – aus purem Zufall und reiner Spontanität, die spektakulär sind. Freundlicherweise stellte mir Fotograf Ben seine besten Fotos für meine “Secret Site” zur Verfügung. Hier erzähle ich seine Geschichte…


Die “Dreigroschenoper” begann mit einem Telefonat…

Als der in Bangkok ansässige Fotograf Ben Owen-Browne eines Abends gegen 21:00 Uhr den Anruf einer guten Bekannten bekam, mit der Bitte sie zu einer Oper in Chinatown zu begleiten, dachte er zunächst an einen schlechten Scherz. Auf gar keinen Fall würde er noch ausgehen, schon gar nicht zu einer endlos langweiligen chinesischen Oper, die keiner versteht…

“Doch das Telefonat kam ausgerechnet von einer ganz speziellen Freundin, die sich immer von Orten meldet, wo ich nie hingehen würde”, erklärte mir Ben im Gespräch über seine Arbeit. “Sie sieht Dinge, die andere nie sehen würden, denn sie lebt in ihrer ganz eigenen Wunderwelt”. Ben gab also nach.

Und natürlich begab er sich letztlich doch noch ans andere Ende der Stadt, nachts um 22:00 Uhr. In einer kleinen Seitenstrasse in Chinatown, deren Namen er längst vergessen hat, wurde er fündig. Ganz am Ende der Soi betrat er einen spärlich beleuchteten chinesischen Tempel, allerdings einen von so vielen, die er im Laufe der Jahre fotografiert hatte.

“Niemals hätte ich hier meine Kamera gezückt, doch dann tat ich es vielmehr versehentlich. Völlig ungeplant, und ganz spontan meiner Neugier und dem Augenblick folgend. Was ich vorfand war das perfekte Film-Set!”


“Geister-Oper” im heiligen Tempel

“The 3 Baht Opera” betitelte Ben später sein Werk, denn in den heiligen Hallen des Tempels zahlt man keinen Eintritt. “Es wäre sowieso nichts zusammen gekommen, denn es war so gut wie kein Publikum da.

“Ein Dutzend Zuschauer vielleicht, nicht mehr, die auf den wenigen Plastikstühlen, auf Holzbalken oder Treppenstufen Platz nahmen”. 

Nichtsahnend, um was es wirklich geht bei diesem Stück.

“Es ist gar nicht wichtig, ob jemand zuschaut”, wurde dem Fotografen später erklärt. “Die Schauspieler werden während bestimmten Festivalperioden direkt vom Tempel beauftragt, die Toten zu unterhalten. Die Anwesenheit von Lebenden im Auditorium ist lediglich ein kleiner Benefit für das Theaterensemble”.

Ich bekomme Gänsehaut, als Ben seine Geschichte weitererzählt.

“Je intensiver ich auf die Bühne starrte und die Schauspieler hinter den Kulissen beobachtete, desto mehr hatte ich den Eindruck, als ob alle Beteiligten schon längst das Zeitliche gesegnet hätten.

Mit ihrer maskenhaften Bühnenschminke und ihrer grazilen Körpersprache kamen sie mir vor wie Wesen von einem anderen Stern, die in prächtigen Kostümen und unverständlicher Sprache ein endloses Schauspiel für sich selbst inszenierten. 

Ein Bühnenstück, das von niemanden gesehen wurde – außer von Geistern”…     


Wow, was für ein Theater!

Vielen Dank, Ben! Diese magischen “ghost photos” sind eine Bereicherung für meinen Blog. Doch muss auch gesagt werden: die Chinesische Oper ist  seit vielen Jahrhunderten Teil der kulturellen Realität in asiatischen Ländern.

Nach längeren Recherchen und meinem Versuch, etwas Licht in das Dunkel des soeben geschilderten “Geister-Phänomens” zu bringen, handelte es sich bei diesem Bühnenstück um eine Mischung aus klassischer Peking-Oper und Kun-Oper*, eine der ältesten Bühnenkunstformen der Welt.

Die Interpretationskraft der einzelnen Akteure ist dabei besonders beeindruckend, ebenso wie das für diese Kunstform extrem theatralische Make-up, welches als Steigerung der künstlerischen Ausdrucksform und zur totalen Verfremdung der persönlichen Gesichtszüge des Schauspielers genutzt wird.

Chinesen sind ein höchst spirituelles Volk, und dies drückt sich auf unterschiedlichste Weise aus. So kommen nach dem Volksglauben zu bestimmten Zeiten im Jahr die Seelen der Toten auf die Erde zurück. Ihnen zu Ehren werden dann sogenannte “Geister-Opern” aufgeführt, damit die Geister der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft mit den Menschen kommunizieren können.

Kenner der Szene wissen: Die meist sehr mystisch-theatralischen Gesamtkunstwerke sind hochinteressante Aufführungen in mehreren Akten, bei der Gesang, Tanz und Schauspielkunst zu einer einzigartigen dramaturgischen Verschmelzung gelangen.

Himmel, Erde und Hölle werden eins, die Grenze zwischen Leben und Tod verwischt. 

© Text: Nathalie Gütermann/Ben Owen-Browne. Fotos: Ben Owen-Browne


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Information

Alle Fotos © by Ben Owen-Browne; BenOwenBrowne.com

FOTOGRAFEN-PROFIL
Der Brite Ben Owen-Browne ist ein hoch angesehener Fotograf mit Wohnsitz in Bangkok. Er arbeitet für zahlreiche nationale und internationale Publikationen und veranstaltet regelmäßige Ausstellungen. Ben hat sich auf “Story-Portraits” von Menschen in unterschiedlichsten Situationen spezialisiert.

*DIE KUN-OPER
hatte großen Einfluss auf die verschiedensten chinesischen Theaterformen, so auch auf die berühmte Pekingoper. Im Laufe der Qing-Dynastie (1644 -1911) verlor die „Kunqu“, wie sie im Chinesischen genannt wird, mehr und mehr an Bedeutung und verschwand um 1930 beinahe ganz von den Theaterbühnen”, schrieb das Kölner Opernhaus in einer offiziellen Erklärung.

“Einigen Intellektuellen ist es zu verdanken, dass die Theaterform in den darauffolgenden Jahren wiederbelebt wurde, um schließlich im Mai 2001 in die UNESCO-Liste der ‘Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Kulturerbes der Menschheit’ aufgenommen zu werden. 2008 wurde diese Liste von der UNESCO umbenannt, so dass die Kun-Oper nun Teil der ‘Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit‘ ist”.