Chiang Rais Wunderwerk: Der “Weisse Tempel”

Der “Weiße Tempel” Wat Rong Khun, etwa 15 Kilometer südlich von Chiang Rai gelegen, ist nicht nur eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Provinz, sondern eine der ungewöhnlichsten Tempelanlagen in Thailand überhaupt.

Der “Weisse Tempel”, der durch seine markante weiße Farbe und unfassbar filigrane Gestaltung besticht, wurde vom thailändischen Künstler und Architekt Chalermchai Kositpipat entworfen. Das religiöse Gebäude ist nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch Ausdruck moderner thailändischer Kunst und Kultur.

Der "Weisse Tempel" von Chiang Rai. Alle Fotos in diesem Reiseblog: © Nathalie Gütermann + Jörg Baston

Wer im Norden unterwegs ist, zum Beispiel in Chiang Mai, sollte aus unserer Sicht unbedingt einen Abstecher nach Chiang Rai einplanen und sich genügend Zeit nehmen, den Wat Rung Khun zu erkunden. Kurz zum Hintergrund: Nachdem die Regierung aus Geldnot die Restaurierung des ursprünglichen Tempels nicht abschließen konnte, begann im Jahr 1997 Khun Chalermchai damit, den Tempel auf eigene Kosten und nach eigenen Vorstellungen wieder zum Leben zu erwecken.

Hierfür wurde die alte Tempelanlage komplett abgerissen und der Neu(auf)bau begann…


Weisser als Weiss

Auffallend ist die speziell an sonnigen Tagen funkelnde schneeweiße Farbe des Tempels, erreicht durch die geschickte Mischung von Kalk und Spiegelscherben.

Die weiße Farbe soll hier übrigens nicht – wie in Thailand sonst üblich – Trauer symbolisieren. Der Künstler selbst bezeichnet sein Bauwerk als “eine Hommage an Buddha, dessen reine Weisheit ‘hell über dem Universum scheint’.”

Tipp für Instagramer: Der vor dem Tempel angelegte See ermöglicht – Dank der Spiegelung des Tempels – grandiose Fotomotive.


Himmel und Hölle

Wie einem Märchenbuch entsprungen liegt der “Weisse Tempel” von Chiang Rai vor uns. Das Betreten der Anlage gleicht tatsächlich einer spektakulären Himmelfahrt: Der Zugang zum Ubosot, der Versammlungshalle der Mönche, führt zunächst einmal über eine lange, prächtig verzierte Brücke.

Danach betreten wir einen langen, schmalen Steg, der es in sich hat. Denn darunter befindet sich die “Hölle”, bevölkert von Dämonen, die einen gruseln lassen…

Hände recken sich aus der Tiefe dem Himmel entgegen, die verzerrten Gesichter sind von Leid gezeichnet, und überall liegen Gebeine und Opferschalen herum. Die buddhistische Symbolik: Wer über diese Brücke schreitet, lässt irdische Laster hinter sich und erreicht einen Zustand geistiger Klarheit.

Der Ubosot selbst ist noch ungewöhnlicher (Fotografieren nicht erlaubt!): Farbenfrohe Malereien von Buddha und anderen mythischen Wesen ist man von thailändischen Tempeln ja gewöhnt. Aber wer erwartet hier schon Elvis, Batman, Keanu Reeves oder andere Persönlichkeiten, die an den Tempelwänden verewigt wurden…?

Der “Weisse Tempel” ist wirklich atemberaubend, aber zugleich auch eine skurrile Kombination aus klassischer Tempelarchitektur und moderner Bildsprache. Das gilt auch für alle anderen Bauwerke auf dem Gelände.


Prachtvolle Toiletten

Fast schon grotesk und mit einem kleinen Augenzwinkern zu betrachten ist der “Tempel im Tempel” – das nach eigener Darstellung des Künstlers vermutlich “schönste Klo der Welt”. Dieses Gebäude wurde von Kositpipat als Gegenentwurf zum klassischen Stil des Ubosot bewusst in Gold gehalten. Die Toilettenräume (hier für Herren!) sind geradezu kitschig dekoriert und mit pompösen Ornamenten versehen.

Wir können uns nicht verkneifen, diesen Eindruck mit unseren Lesern zu teilen… 😉 Gold als Symbol für weltliche Bedürfnisse!


Erfüllung von Wünschen

Nach Verlassen der Tempelhalle erreicht man die sogenannten “Wunschbäume” sowie einen aufwendig gestaltete Brunnen. Jedem Tempelbesucher steht es frei, einen Wunsch aufzuschreiben und an einem der Bäume zu hinterlassen …

… oder auch eine Münze in den ebenfalls im Versace-Stil erbauten Brunnen zu werfen. Wenn’s denn hilft..!

Die Tempelanlage befindet sich in einem großzügig angelegten Park. Der “Weisse Tempel” ist natürlich die Hauptattraktion, doch gibt es noch zahlreiche weitere Dinge zu bestaunen. Zum Beispiel eine Steinwand mit Figuren und künstlichen Wasserfällen. Obendrein begegnet man immer wieder Buddha-Figuren, zumeist in sitzender und betender Position.

Allerorts unterstreichen Pagoden und Säulengänge mit reicher Ornamentik  die durchweg verspielte Architektur. Ein besonderes Kleinod ist für uns auch der wunderschöne, auf einer kleinen Insel erbaute Goldene Tempel…

… der über eine ebenfalls goldene Brücke zu erreichen ist.


Wirtschaftliche Nachhaltigkeit

Der “Weisse Tempel” Wat Rong Khun zieht viele Touristen an und trägt somit zur lokalen Wirtschaft bei. Durch Eintrittsgelder und den Verkauf von Kunstwerken und Souvenirs wird Geld generiert, das ausschließlich in die lokale Gemeinde und die regelmäßige Instandhaltung des Tempels reinvestiert wird. Seit seiner Erbauung bis heute schafft(e) das vorbildliche Projekt Arbeitsplätze in der Region, denn ständig müssen Reparaturen durchgeführt werden.

Erdbeben 2014

Zuletzt wurde der “Weisse Tempel” im Jahre 2014 bei einem Erdbeben schwer beschädigt. Tempel-Erbauer und Künstler Chalermchai Kositpipat war am Boden zerstört, als Anfang Mai 2014 eine kurze, aber heftige Erderschütterung Thailands Norden sowie weite Teile von Myanmar erschütterte. Straßen und Gebäude wurden schwer demoliert – darunter auch große Teile seines Lebenswerks.

Zahlreiche filigrane Elemente des phänomenalen Bauwerks knickten weg, Dachziegel lösten sich, Wände und Decken erlitten schwere Risse. Es bestand zeitweise eine ernst zu nehmende Einsturzgefahr. Fast sein ganzes Leben hatte Kositpipat diesem Bauwerk gewidmet, und jetzt ruinierte das Beben seinen Traum.

“Die Wandmalereien, an denen ich fast 20 Jahre gearbeitet habe, wurden teilweise völlig zerstört. Auch mehrere Türmchen und Spitzen sind weggebrochen. Diese neu zu kreieren ist unmöglich! It’s beyond repair…!”

Glück im Unglück

Die gute Nachricht: Wider Erwarten konnten die Hauptstrukturen und andere Teile dann doch im Laufe der darauffolgenden Jahre Dank großzügiger Spenden komplett renoviert werden.

Nun steht also der “Weisse Tempel” wieder da, wie von Anfang an konzipiert war. Wie eine überirdisch schöne, filigrane Eisskulptur!

Irgendwann fragt sich der ein oder andere Besucher vielleicht: Ist der Wat Rong Khun eigentlich Kitsch oder Kunst? Ganz egal! Der “Weisse Tempel” mitsamt seiner goldenen Umgebung ist in seiner Gesamtheit wahrlich ein einzigartiges Wunderwerk, das jeden Thailand-Besucher in Erstaunen versetzt und definitiv entzücken wird…


© Text & Fotos: Nathalie Gütermann & Jörg Baston


Weitere Berichte über Chiang Rai folgen in Kürze. Schauen Sie doch in der Zwischenzeit auf unseren Reise-Blog über “die Rose des Nordens”…

Chiang Mai Spezial: Alle Berichte im Überblick